Saufen und Valerie
Wann hört diese verdammte Scheiße auf? Das Leben, die Pandemie? Wann?
Seit Wochen, eigentlich auch vorher schon diese verdammte Depressionen, den ganzen Tag über. Dazu diese Zwänge. Ständig immer wieder, jedes Wort, jeder Satz, jede Phrase, die in meinen Kopf gelangt, ständig dieses Wichtige. Moment mal, sie sind nicht wichtig. Warum pflanzen sie sich denn in meinem Gehirn fest? Was wollen sie? Warum kann ich nicht einfach sagen: Verdammt, ich habe genug von euch, verschwindet! Oder einfach: Stop, jetzt reichts! Aus damit! Ja, dann liege ich, wie jetzt auch in meinem Bett, greife eine dieser zahlreichen Dosen Bier, die in auf meinem Nachttisch gruppiert habe, mache eine auf, setze an und merke, schon nach den ersten Schlucken, dass es mir wieder besser geht. Bin benebelt, betäubt, doch nur für kurze Zeit. Bis die Gedankenwalze wieder über mich herfällt.
Valerie meldet sich heute auch spät, vielleicht auch gar nicht, Was solls! Hätte nie diese Verbindung eingehen dürfen. Valerie hier, Valerie dort, und natürlich ihre Angst vor Keimen jeglicher Art. Wie mich das wieder einmal abstösst. Doch am meisten stößt mich mein Selbst ab. Wer bin ich denn schon, dass ich mich über andere Menschen, dazu auch noch nahe Menschen beschweren darf? Na ja, ich bin eben ich, und ich bin im Grunde allein. Ist nicht jeder Mensch allein, nur auf sich gestellt? Geht nicht jeder nur seinen Weg? Aber was ist das schon: sein Weg? Ist es der Weg, den man gehen möchte, oder ist es nicht vielmehr der Weg, auf den man nach seiner Geburt gestoßen wird?
He, kleiner Mensch, wir, deine Eltern haben dich gezeugt, jetzt mach gefälligst was aus deinem Leben. WIr haben unseren Spass gehabt, wollten dich hier haben, manchmal auch nicht. Aber ganz gleich, jetzt bist du nun schon mal auf der Welt. Fange an, dich anzustrengen, wenn nicht auch gut. Wenn es nicht so klappt, wie wir das uns so vorstellen, dann eben nicht. Uns hat ja auch niemand gefragt. Wir spielen nur das Spiel, das alle spielen. Und in diesem Spiel gibt es eben nicht viele Regeln. Gut, so könnten sie denken, die Erzeuger, oft auch Eltern genannt.
Möglicherweise wollte sie jenen ja auch auf dieser Welt haben. Denn was ist andererseits schöner, als Kinder großzuziehen? Auch so könnten sie denken. Aber ist macht keinen Unterschied, ob man gewollt oder ungewollt auf diesen Planeten gestossen wird. Letztlich muss jeder Mensch versuchen, das Beste daraus zu machen, sofern er überhaupt das Verlangen hat, das zu tun.
Na, ich nehme mal noch einen Schluck aus der Pulle. Verdammt, schon wieder leer. Was für ein Glück, dass ich mir gestern Abend noch einen beachtlichen Vorrat ergattern konnte. Das Zeug wird ja auch schon reichen. Es wird rationiert. Jetzt darf man nur noch 4 Dosen kaufen, rationiert, wie vieles andere in unserer Zeit. Klopapier gibt es schon gar nicht mehr, es wird in den Fabriken schlicht nicht mehr produziert, weil es keine Rohstoffe, Papier, Altpapier, Faser oder so ein Zeug, gibt. Seife gibt es nur noch vereinzelt, Konserven, Nudeln und Mehl , man könnte ja selber anfangen zu backen, wenn nicht ständig der Strom abgestellt würde. Ach was, neue Dose! Schließlich kenne ich ja Jonas, Packer im Getränkemarkt, der hat es möglich gemacht, dass ich meinen Rucksack mit diesem leckeren Bier füllen konnte. Mal sehen, wie lange es reicht. Na, man hat ja seine Leute. Kontakte hier und da, und das, obwohl Kontakte eigentlich wenn möglich gemieden werden sollten. Sagt unsere Regierung. Als hielte das das Virus auf. Vielleicht ja doch.
So sitzt, liegt, steht, läuft halt jeder für sich. Im Prinzip hat sich ja gegenüber der Zeit vor dem Virus in dieser Hinsicht nicht so viel geändert. Waren wir doch immer ein jeder für sich. Kontakte zu anderen Menschen brauchten wir schließlich nur, weil wir nicht allein sein konnten, weil wir mit uns selbst nichts anfangen konnten. Immer muss ein Reiz da sein, der uns in diesem Leben noch einigermaßen aufrecht erhält. Fällt dieser weg, benötigen wir Betäubung, Alkohol, Koks, Gras, Pillen, Zigaretten, was weiß ich. Wahrhaben will es allerdings kaum jemand. Absurd. Nicht die Tatsache, dass es so ist, sondern die Situation, besser gesagt, die aneinandergereihten Situationen sind Leben im Absurden, denn es ist immer so. Solange es einem nicht bewusst wird, macht dies nichts aus. Das Leben kann scheinbar angenehm sein. Schließlich hat das Leben genug Ablenkung zu bieten. Sobald einem allerdings bewusst wird, dass es nichts an der Ausgangssituation ändert, immer weiter zu gehen, und das in Richtung Lebensende, immer und immer wieder Situationen mit ähnlichen Inhalten, denen alsbald die Reize ausbleiben, dann merkt man, wie absurd, wie vorgezeichnet das Leben ist. Letzten Endes haftet dem Bewusstwerden auch etwas durchaus Positives an. Man weiß mehr als die anderen, die sich diese Gedanken nicht machen, entweder, weil sie ganz gerne der Selbsttäuschung obliegen, dann wissen sie es zumindest, spielen aber weiter das Lebensspiel, oder es fehlt ihnen der nötige Grips, um dieses alles zu begreifen.
Mir wird übel. Aber auch das ist normal, nach der dritten Dose am frühen Morgen wird mir in der Regel so schlecht, dass ich mich übergeben muss. Zum Glück, hier die Einkaufstüte; in die kann ich kotzen. Muss sie bald mal wieder auswaschen, stinkt ja schon entsetzlich.
Ah, Valerie meldet sich, heute wieder per SMS. Guten Morgen Lorenz, ich hoffe, du hast gut geschlafen. Ich fahre gleich einkaufen. Brauchst du etwas? Der übliche Spruch am Morgen. Früher war ich froh, wenn von ihr morgens überhaupt irgendetwas kam, heute ärgert mich es, wenn sie diese platten Grüße schickt. Was soll ich schon brauchen? Bier brauche ich, und zwar so viel, dass ich das Haus gar nicht mehr verlassen muss, zwei Dosen Konserven für die Woche, mal Suppe, mal Nudeln, das reicht für die Woche. Bier kauft sie für mich ein. Also kann sie sich den restlichen Einkauf für mich auch sparen. Muss ich halt selber gehen, zweimal die Woche. Mehr strengte mich zu sehr an.
Außerdem wovon sollte ich das Mehr auch bezahlen? Als mittelloser Schriftsteller fließen die Einnahmen nun auch mal nicht so. Ach ja, Schriftsteller, das ist mein Beruf. Was für ein miserabler Schriftsteller bin ich denn? Einer, der kaum einen anständigen Satz aufs Papier bringt. Na ja Papier gibt es ja nicht mehr, dafür aber bisweilen mal etwas Strom für mein Notebook. Gerade schreibe ich ja auch wieder bzw. sollte ich schreiben.
Dazu habe ich mir ein wirklich geniales Thema einfallen lassen. Franz Kafka als Liebhaber, in Prag, auf seinen verschiedenen Reisen, Leben mit der Spanischen Grippe, wie plötzlich überall in der Welt. Auf einmal ist die Einsamkeit für ihn da, sie ist nicht nur körperlich fühlbar und geistig anwesend, sie scheint ihn zu erdrücken seine Verlobungen scheitern. Was macht das aus ihm? Da geschieht etwas: Er kann sich aus seiner geistigen Einsamkeit befreien, indem er eine ganz andere Perspektive auf die Menschen einnimmt.