Skip to main content

Normal

Kopf dröhnt, diese Träume, Gedankenfetzen, alles vage, eben war es noch da, jetzt, schwupp, ist alles wie ins Nichts entschwunden. Ich könnte ...

Nicht zu greifen, nur ein Eindruck bleibt und legt sich schal auf meine klareren Gedanken. Ich wälze mich im Bett. Wie jeden Morgen. Wenn nur diese verfluchten Träume nicht wären. Nicht zu fassen sind sie. Gleich schon wieder aufstehen, meine Zettel von gestern Abend muss ich noch bearbeiten.

"Bearbeiten", so nenne ich den Vorgang: hingekritzelte Wörter, Fetzen von Gedachtem, nicht ganz Erfasstes, wie ein dauernder Schluckauf immer wieder aufblitzendes Nichtiges zu entziffern. Selbst ich kann das Meiste beinahe nicht lesen. Eine Lupe hilft mir bei meiner täglichen Mammutbewältigung offensichtlich Schwachsinniges durchzuzwängen.

Lust was anderes zu tun. Ich lasse es. Diese ständige Lust. Vielleicht gibt es einen Zusammenhang. Oh, du verdammte Lust.
Aufstehen, muss früh aufstehen sonst keine Zeit mehr und ich sitze stundenlang vor diesen Zetteln sitze und rauche eine Kippe nach der anderen mit Przlawa, die eigentlich noch schlafen sollte, aber unruhig schläft, auch voller nebeliger Träume, mit Schreckensbildern aus ihrer Vergangenheit wird sie wach und steht auf, und ich und mein Zwangskreislauf ist unterbrochen. Normal, alles wie immer, weil alles wie jeden Tag noch schläft und es still draußen ist, jedenfalls vom Balkon aus alles so normal, da kann uns kein Virus etwas anhaben.

Wir leben dahin, normal. Ich lebe so lala mit unterdrückter Angst. Mit Angst geht es weiter. Wovor Angst? Keine Einschränkungen. Kontaktsperre ist noch. Doch Geschäfte öffnen wieder. Ja, die Geschäfte, eingekauft werden muss. Und die Schulen. Aber mit Maske vor Nase und Mund. Es geht weiter, auch mein Gedankenzirkus. Gleich wird sie sagen, dass sie schlecht geschlafen habe; nein, ich frage, und sie antwortet nach kurzem Hin und Her auch, dass sie noch einkaufen gehen müsse. Einkaufen, das macht sie seit zwölf Wochen.

Ich selbst gehe kaum noch vor die Tür, nur noch zu Sex mit Valerie, den ich auch nicht mehr mag, genausowenig wie Einkaufen. Zwei Meter Abstand, auch beim Sex, das wäre es. Vielleicht mit Velängerungsapparaturen oder in Raumfahreranzügen. Nur kein Kontakt! Das kommt mir sehr gelegen. Lust ist schon da. Doch anders. Noch eine Kippe. Noch ein Bier. Die Dosen sind auch bald alle leer. Ich brauche neue. Wichtig. Es ist alles normal. Eine Meise setzt sich auf die Balkonbrüstung, zwitschert. Heißt es "Brüstung"? Heißt es "zwitschern"?

Was solls, ein Wind haucht mich an meinen Kopf, mein Bauch spannt. Lust! Heute nicht! Lass mich! Heute ist wie immer. Da macht auch das Virus nichts dran. Es ist normal.